Leben ohne Papiere
Wie viele „Menschen ohne Papiere“ in der Bundesrepublik Deutschland und in Rostock leben, ist unklar. Umfang und Art nicht legaler Migration lässt sich nur schwer statistisch erfassen.
Klar ist: Menschen ohne Papiere stellen einen Teil unserer Gesellschaft dar, leben aber in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Ihre Migrationsgeschichten, insbesondere die Gründe,die zu einem Leben in der Illegalität führten, sind sehr unterschiedlich. Totalitäre Gesellschaftssysteme, wirtschaftliche Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit und Krieg treiben Menschen in die Flucht. In der Regel sind westliche Gesellschaften unmittelbar oder mittelbar an der Entstehung oder an der Aufrechterhaltung der entsprechenden Konflikte beteiligt. Das Nicht-Anerkennen dieser Fluchtgründe im deutschen Asylverfahren und die restriktiven Regelungen im Zuwanderungsgesetz bedeuten für Asylsuchende und Migrant*innen, dass sie in die Illegalität gedrängt werden.
Es gibt verschiedenste Ursachen für ein Leben in der ‚Illegalität‘, zum Beispiel:
- abgelehnte Asylanträge
- abgelaufene Duldungen von Geflüchteten aus Bürgerkriegsgebieten
- Entzug des Aufenthaltrechts durch strafrechtliche Verurteilung
- abgelaufene Visa
- nicht erneuerte Arbeitsgenehmigungen
- Verlust des Aufenthaltsrechts durch Scheidung
Trotz der unterschiedlichen Gründe der Menschen ohne Papiere für ein Leben in der Illegalität ist ihnen gemeinsam, dass sie durch die bestehende Gesetzeslage im Alltag vom Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung ausgeschlossen und ausgegrenzt werden. Ein Leben ohne Papiere bedeutet konkret:
- Recht auf medizinische Versorgung ist de facto nicht gewährleistet
- keine legalen Erwerbsmöglichkeiten
- kein Recht Wohnungen anzumieten
- keine Sozialhilfe
- kein Recht auf Schul- oder Kindergartenplätze
- keinerlei staatsbürgerliche Rechte
- erschwerter Zugang zu juristischer Unterstützung
- ständig angewiesen sein auf die Unterstützung anderer
- leicht ausnutzbar sein für andere
- immer mit der Angst zu leben, ‚entdeckt‘ zu werden
- jederzeit von Abschiebung bedroht zu sein
Rechtliche Situation im Krankheitsfall
Formal fallen Illegalisierte zwar unter das Asylbewerberleistungesetz (AsylLG) und haben damit Zugang zur medizinischen Versorgung bei akuten oder schmerzhaften Krankheiten (§4) oder zu Leistungen, die zur Aufrechterhaltung der Gesundheit unerlässlich sind (§6), jedoch nicht zu medizinischer Regelversorgung.
Um diese reduzierten Leistungen überhaupt in Anspruch nehmen zu können, müssen sie sich jedoch an das Sozialamt wenden. Die Sozialämter, als Kostenträger, sind – sofern es sich nicht um eine Notfallbehandlung handelt – gesetzlich verpflichtet, die Personendaten an die Ausländerbehörde weiterzuleiten (§ 87 AufenthaltG). Der Zugang zum Gesundheitssystem ist somit faktisch für sie versperrt: Mit der Meldung droht die Abschiebung.
Medizinisches Personal und Verwaltungen öffentlicher Krankenhäuser sind zu dieser Meldung an die Ausländerbehörde nicht verpflichtet, aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht sowie des sog. verlängerten Geheimnisschutzes (§ 88 Abs. 2 AufenthG) ist eine Datenweitergabe an die Ausländerbehörde sogar untersagt.
Trotzdem müssen Menschen ohne Papiere befürchten, dass die zuständigen Behörden von ihnen erfahren, wenn sie medizinische Hilfe suchen. Das Medinetz hilft den Betroffenen hier indem wir sie an Ärztinnen und Ärzte vermitteln, die vertrauenswürdig mit dieser sensiblen Situation umgehen.
Übrigens:
Wir sprechen von Menschen ohne Papiere oder Illegalisierten, da der häufig verwendete Begriff „Illegale“ nicht geeignet ist, die Lebenssituation dieser Menschen zu beschreiben. Illegal impliziert, jemand habe sich eines Verbrechens schuldig gemacht und sei kriminell. Tatsächlich aber besteht der einzige Gesetzesbruch im Übertreten der ausländerrechtlichen Aufenthaltsbestimmungen. In anderen Sprachen gibt es weniger diskriminierende Begriffe (undocumented migrants, sans papiers, sin papeles etc.).