Rostock, 20. September 2015
Wir als Medinetz Rostock e.V. möchten nach zwei Wochen intensiver Arbeit in der aktuellen Flüchtlingssituation Rostocks unsere Sicht auf den Ablauf wiedergeben und daraus abgeleitete Forderungen bezüglich der Versorgung von Geflüchteten stellen.
Rückblick:
Seit dem 08.09.2015 kommen jeden Tag mehrere hundert Geflüchtete nach Rostock, um mit der Fähre weiter Richtung Skandinavien zu reisen oder hierzubleiben und Asyl zu beantragen. In der ersten Woche reisten über 2000 Menschen durch die Stadt. Daraufhin wurde eine vorübergehende Unterkunft für 350 Refugees eingerichtet, die in Rostock bleiben wollen.
Das Gesundheitsamt war dort früh vor Ort, um einen Überblick zur Versorgungslage zu gewinnen. Allerdings vergingen 4 Tage bis eine medizinische Versorgung in Form einer Sprechstunde von Seiten der Stadt sichergestellt werden konnte. An weiteren Aufenthaltsorten der Geflüchteten in Rostock wurde vorerst keine medizinische Versorgung bereitgestellt. Des Weiteren wurde die notwendigste Versorgung mit Hygieneartikeln, Nahrungsmitteln und Kleidung sowie die Koordination der Hilfe anfänglich komplett von Freiwilligen übernommen. Das Medinetz Rostock übernahm hierbei zu großen Teilen die Verantwortung für die medizinische Basisversorgung in Form einer 24h-Bereitschaft sowie mobiler Sprechstunden. Mit der Unterstützung durch „Apotheker ohne Grenzen“ konnte zudem zügig ein Medikamentendepot aufgebaut werden.
Für das folgende Wochenende entstanden weitere 7 vorläufige Unterkünfte. Dort gab es ebenfalls keine organisierte medizinische Versorgung. Das Medinetz sprang hier, wie in der vergangenen Woche, ein, um eine medizinsche Erstversorgung zu ermöglichen.
Seit letzter Woche wurden vom Gesundheitsamt organisierte Sprechstunden in allen temporären und offiziellen Unterkünften in Rostock mit Unterstützung des DRK und der Südstadtklinik Rostock eingerichtet. Ein Großteil der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte stellte sich freiwillig zu Verfügung.
Aktuell steht das Medinetz Rostock weiterhin als Ansprechpartner für medizinischen Belange zur Verfügung, die nicht von städtischen Strukturen abgedeckt werden u.a. Beratung und Betreuung von dezentral untergebrachten Geflüchteten.
Tätigkeiten, die wir dabei seit dem 08. September übernommen haben sind:
medizinische Erstversorgung, Medikamentenbereitstellung, Koordination der verschiedenen medizinisch relevanten Akteurinnen und Akteure, Begleitung ins Krankenhaus, Organisation von Dolmetschenden
Reflektion und Kritik der Ereignisse:
Als Medinetz Rostock üben wir Kritik an den schleppenden Abläufen und der unprofessinellen Koordination der Gesundheitsversorgung in den letzten zwei Wochen. Die anfängliche Fehleinschätzung der Stadt bezüglich der Anzahl der Geflüchteten führte zu einer zunächst unhaltbaren hygienischen und medizinischen Unterversorgung. Vor allem Geflüchtete auf Durchreise wurden zunächst von öffentlicher Stelle nicht medizinisch betreut. Eine psychische Betreuung gab es bisher zu keinem Zeitpunkt.
Zwar gab es von Anfang an eine mündliche Zusicherung der Notfallversorgung von Geflüchteten in Kliniken und die Bereitstellung eines Krankentransportes. In Einzelfällen kam es jedoch zu Verweigerungen oder Unklarheiten des zugesicherten Transportes bzw. der Versorgung. Die Kostenübernahme der Behandlung durch die Stadt gestaltete sich dabei in der Praxis oft eher schwierig, entgegen der vorherigen Zusicherungen.
Grundlegende Unterstützung hinsichtlich medizinischer Fragen, gab es durch das Gesundheitsamt Rostock, medizinischem Personal vor Ort, Apotheker ohne Grenzen und durch Spenden von Einzelpersonen.
Wir würden uns über eine realistische Selbsteinschätzung der Stadt in dieser Hinsicht freuen.
Daraus abgeleitete Forderungen:
Das Medinetz Rostock stellt, in Anbetracht des Rechts auf Gesundheit und des Rechts auf Flucht eines jeden Menschen, folgende allgemeine Forderungen zur Sicherstellung der Gesundheit von Geflüchteten:
– eine ausreichende medizinische Erstversorgung von Geflüchteten sowie die schnelle Versorgung von besonders schutzbedürftiger Personen
– eine Einrichtung einer psychischen Betreuung
– eine ausreichende Medikamentenbereitstellung für eine adäquate Versorgung
– eine Sicherstellung der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Getränken
– hygienische Mindeststandards in den Unterkünften
– Schutz vor schlechten Witterungsbedingungen
– eine kontinuierliche Bereitstellung von Dolmetscher*innen
Medinetz Rostock e.V.